In meinem Garten steht ein Traumbaum. Gerade jetzt in der Erntezeit ist hier viel los. Viele der guten und reifen Träume sind schon geerntet und einige modrige liegen noch im Gras. Und zwischen den Zweigen am Baum sind immer mal noch ein paar Raritäten zu entdecken. Einige sind noch ganz unreif und sauer – die müssen noch ausgebrütet werden. Und andere sind richtig rund und süß.
Ja, du hast richtig gehört, die Träume werden mit Liebe ausgebrütet. Von Paradiesvögeln.
Sie sitzen dort in ihrem Nest, brüten und stecken ihre Vogelköpfe neugierig aus dem Nest, um die Umgebung zu scannen. Ihre Fantasie und Liebe legen sie in die Träume, die sie ausbrüten. Und an dem einzigartigen Farbmuster des Traumes kann ich dir hinterher sogar sagen, aus welchem Nest der Schlingel geschlüpft ist. Und manchmal, wenn der Paradiesvogel nicht aufpasst, wird ein Traum zu lange gebrütet. Leider hat mein Baum einige solche tollpatschigen Vögel, die es einfach nicht gebacken bekommen, dass sie wissen, wann genug ist. Weißt du, die sitzen dann den ganzen Tag in ihrem Nest, schwatzen mit dem anderen schrägen Federvieh und passen nicht auf und dann passiert so ein Müll. Die Träume werden matschig, sie bekommen braune Stellen und werden modrig. Und modrige Träume sind ungenießbar, die willst du nicht ausprobieren. Vielleicht hattest du ja schon mal einen im Mund? Die hinterlassen so einen pelzigen Geschmack auf der Zunge, den man noch am nächsten Tag spürt. Ich mag sie nicht, diese braun gematschten, überreifen, von Tollpatschvögeln versauten Albträume.
Ich bevorzuge dann doch eher die runden und saftigen. Die sind einfach süß! Aber weißt du, wenn die matschigen Träume nicht abgeerntet werden, dann fallen sie zu Boden und verselbständigen sich. Sie werden zu kleinen Mistkäfern, die sich im Dreck suhlen und dir alles versauen um den Traumbaum herum. Und diese Viecher wieder unter Kontrolle zu bekommen ist gar nicht so einfach. Da brauche ich schon ein gutes Mittel gegen Ungeziefer: Albtraumblock 7.5 im XXL-Packungsformat. Aber das gibt's nur unterm Ladentisch zu kaufen, wie früher die Bananen in der DDR.
Ja, in meinem Garten wächst ein Traumbaum und auf ihm sitzen Paradiesvögel und sie brüten meine Träume. Und manchmal, wenn mir danach ist, dann pflücke ich einen Traum und genieße ihn so richtig ausgiebig. Ich hole meinen Farbkasten, male ihn mir so richtig aus und manchmal wird er auch zum Adler, der mich fortträgt in andere Welten. Mit ihm schwinge ich mich dann über hohe Berge und große Wiesen mit so vielen exotischen Blumen, dass ich mir für die nicht mal alle einen Namen ausdenken könnte. Cliroxphilemonima oder Sauerbotoxwasserpalme kann sich ja auch kein Mensch merken, oder? Ich erlebe dort Abenteuer, die so bunt und verrückt sind, dass die Farben in meinem Farbkasten gar nicht ausreichen, sie zu ummalen und kein Clown dieser Welt sie sich jemals ausdenken könnte. Ich fliege auch über manche dunklen Wälder mit so einigen Schauergestalten und Monstern. Ja, von meinem Traumadler getragen komme ich schon in der Welt rum. Und manchmal entdecke ich dort auch Traumbäume von anderen Menschen. Und einige dieser Bäume stehen noch immer als Wildwuchs auf weiten Wiesen und Hügeln herum. Sie warten darauf von bereitwilligen Gastgebern ausgebuddelt und in ihren phantasievollen Gärten wieder eingepflanzt und gepflegt zu werden. Sie wollen viele Träume tragen und ihrem Gastgeber verrückte Gedanken in den Kopf streuen und sein Leben bereichern.
Ja, in meinem Garten steht ein Traumbaum. Und mal ganz ehrlich: Schön wäre es schon, wenn jetzt nicht gleich der Wecker klingeln würde, es früh am Morgen wäre und ich zur Arbeit gehen müsste. Ich würde viel lieber in meinem Garten bei meinem Traumbaum bleiben.
Ja, in meinem Garten steht ein Traumbaum – nur… den Eingang wieder zu finden, das fällt mir manchmal noch schwer.
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